Wieviel gummibärchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Darmstadt ist drittklassig.


Sagen Sie nicht, dass hätten Sie schon immer gewusst. Unsere heldenhaften Kicker vom SV 98 haben den direkten Wiederaufstieg in die Regionalliga geschafft. Dieser fußballerische Jojo-Effekt ist aber auch das einzige, bei dem in Darmstadt etwas bergauf geht. In der Innenstadt haben schon wieder mehrere angesehene, alteingesessene Geschäfte ihren bevorstehenden Tod angekündig. Zum Einkaufen in die Innenstadt zu fahren macht mittlerweile fast genauso viel Sinn, wie der historische Wetterbericht im Fernsehen.
Als uns dann neulich ein Infoblatt in die Hände fiel, in dem das „Outlet Village Wertheim“ beworben wurde, stand unser Entschluss schnell fest. Wir sagten uns: „Etwas besseres als C&A finden wir überall“, und beschlossen einen größer angelegten Einkaufsausflug. So wie dereinst die Wikinger. Mal eben rüber nach England, zwei Pfund Butter und ein paar Kirchenschätze mitbringen. Laut Werbung sollte Wertheim bei Frankfurt liegen, faktisch liegt es eher vor den Toren Würzburgs, aber was sind schon Abweichungen von knapp 60 Kilometern. Die Amis führen in dem Stil ganze Kriege, da dürfen wir nicht maulen.

Ein Outlet-Village ist eine Ansammlung von mehr oder weniger namhaften Geschäften, die ihre unverkäuflichen Klamotten bzw. Exemplare mit leichten Mängeln zentral verschachern. Man benötigt: eine grüne Wiese, jede Menge Beton für den Parkplatz und einen Architekten, der wegen fortgeschrittener Realitätsferne bei Disneyworld rausgeflogen ist.

Outlet-Village Wertheim sieht von außen so aus wie das Königreich aus Shrek 1: Türmchen, Fachwerk und alles ein bisschen zu sauber. Man wartet praktisch auf die Fanfaren, die die von weither angereisten Shopper zum Zweikampf rufen. Aber zum Glück geht alles eher unblutig ab, nur die Geldbörse wird zur Ader gelassen.

Direkt am Eingang gibt es eine Touri-Info, ganz so, als gäbe es hier etwas, was sich nicht jedem sofort erschließt. Eine kleine versteckte authentische Wassermühle,? Fehlanzeige! Ein lustiges Feuchtbiotop? Auch nicht. Eben doch nur Geschäfte. Obwohl, in einem Geschäft hat mich ein sprechender Esel bedient. Also doch wie bei Shrek.

Direkt nach dem Betreten, setzt praktischerweise ein konsumfreundlicher Sprühregen ein, der die noch unentschlossenen Neuankömmlinge in die nächsten Läden zwingt. Zwei Jeans später erlaubt das Wetter einen kurzen Sprint Richtung Coffeeshop zu einer ersten Stärkung. Kaffee gibt es leider nicht zu reduzierten Konditionen hier wird voll zur Kasse gebeten, und zwar üblich deutlich. Die Original Amäricän-Cookies sind zwar extrem lecker, aber für den Preis hat Oma früher immer eine Sachertorte gezaubert.
In einem Sportschuhgeschäfte bedient man sich einer perfiden Taktik: das erste Paar Schuhe ist nur leicht reduziert, beim Kauf von zweien kostet das billigere Paar nur noch die Hälfte. Wer kann da schon widerstehen? Wir konnten. Bei Socken war es nicht ganz so einfach, aber ich denke die 10 Paar Sportsocken werde ich schon irgendwann auftragen. Lustig war dann noch das Intermezzo an der Kasse, als sich zwei angehende Fachkräfte gegenseitig das Rabattsystem erklärten. Wenn das erste Pack Socken 10 Euro kostet, das zwei Pack Socken dann nur noch 5 Euro, was kostet dann das Dritte? Das wär’ doch was für die nächste Pisa-Studie.
Die meisten Besucher kamen im geschlossenen Familienverband. Bei den Preisen kann man auch schon mal auf Vorrat kaufen, der Kleine wird bestimmt irgendwann groß genug für die Jeans füllen, Papa hoffentlich irgendwann wieder klein genug für die Shorts (man trägt den Bauch übrigens wieder blusig über der Hose musse ich feststellen) und Mutti irgendwann verwirrt genug sein, um das froschgrüne Top auch wirklich zu tragen.

Was mich in solchen Schnäppchenparks immer wieder stört, ist, dass ich für meine Größe nie etwas finde. Mängelexemplare werden scheinbar nur in Standardgrößen hergestellt. Schuhe gibt es nur von Größe 34 bis 42, Hosen hören bei Länge 32, also bei mir weit oberhalb der Knöchel auf, Krawatten...o.k., Krawatte geht, aber wehe ich will ein Hemd dazu.
„Nehmen Sie doch eins mit kurzen Ärmeln.“ Klar, würde zu der 32er Hose passen, ist aber keine echte Herausforderung. Seit meinen Kindertagen, als ich langsam aus der deutschen Kleidernorm herauswuchs suche ich nun schon nach passender Konfektion, aber das einzige was ich was ich finde sind Schlauberger, die mir empfehlen „Nehmen Sie doch eines mit kurzen Ärmeln.“ Nur ein kleiner Stamm der internationalen Modemanufakturen nimmt sich meinem Problem an und das sind natürlich die Nobelmarken. Warum gibt es bei englischen Herstellern passende Hemden für 125 Euro, aber nicht beim einheimischen Textilgewerbe ein passendes Stück für 40 Euro? Eines Tages werde ich es euch zeigen ihr deutschen Hemdenmacher - dann geh ich zum Briten. Ich werde pleite sein aber unverschämt gut aussehen.

Zu meiner Schmach muss ich gestehen dass ich dann doch eine passende Jacke gefunden habe – bei Versace. Aber sie war kräftig herab gesetzt. Auf meine Frage, wo dieses Mängelexemplar denn seine Mängel habe, versicherte mir der Kaufmannsgehilfe: „Diese Jacke hat keine Mängel.“ Aha! Die Spuren, die aussahen, als sei das Kleidungsstück schon einmal mit einer Kettensäge in Kontakt gekommen seien so gewollt und Ausdruck eines bewusst konsumkritischen Bekleidungsstils, der den Markenwahn unserer Zeit bewusst konterkariere und dem Trend zum uniformen Nonkonformismus huldige.

Das leuchtete mir zwangläufig ein und außerdem versicherte er mir glaubhaft, der rechte Ärmel würd nicht sofort abfallen. Ich hatte ja beim Nicht-Kauf langärmliger Hemden einiges gespart, daher konnte ich jetzt dieses Designerschnäppchen erwerben.

Seit diesem Tag sammeln wir übrigens unser Altpapier in einer original Versace-Tüte.

 

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