Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Warte, warte nur ein Weilchen...


Fürst Rainier von Monaco geht es sehr schlecht.

Zumindest habe ich das letzte Woche in einer Zeitschrift gelesen. Mir ist natürlich klar, dass der Herrscher des kleinen Mittelmeerfürstentums schon länger nicht mehr unter uns weilt, aber die Zeitschriftenkollektion im Wartezimmer meines Hausarztes ermöglicht immer wieder eine kleine Zeitreise. So zwischen 2 bis 8 Monate rückwärts in der Zeit sind locker drin. Leider kann man nur in der Vergangenheit von Königshäusern und B-Prominenten stöbern. Als Kassenpatient ist einfach nicht mehr als Yellow Press drin. Und diese Info muss man sich auch noch in einem Wartezimmer zu Gemüte führen, das irgendwann in den frühen 60ern eingerichtet wurde und unter der Last vieler Tausend AOK-Gesäße ein klein wenig gelitten hat. Dort gibt es die „gemiedene Bank“, eine zweiteilige Chrom-Leder-Sitzkombination, die schon derart durchgeritten ist, dass kein Stück Polster mehr den Hintern des Patienten bremst. Wer mehr als 5 Kilogramm wiegt sackt unweigerlich bis auf den Boden durch und hat orthopädische Hilfe nötig, um sich aus der unwürdigen Position zu befreien. Normalerweise setze ich mich dort – ich kenne ja die Gefahr – auf den einzigen halbwegs tragfähigen Sitzplatz und verlagere mein Gewicht so geschickt, dass es für Uninformierte nach einer bequemen Couch aussieht. Dann ergötze ich mich an den schockierten Gesichtern der Mitpatienten, die glauben, von einem Ledermonster aus der Kerkerdimension verschluckt zu werden.

Sobald sie sich aus den Fängen der Couch befreit haben bewegen sie sich zur einzigen alternativen Sitzgelegenheit: eine knüppelharte ausgediente Kücheneckbank mit Folklore-Sitzkissen die Bandscheiben frisst. So habe ich diesen Teil des Wartebereiches ganz für mich und muss ihn nicht mit Hustenden, Müffelnden und Sterbenden teilen. Zumindest nie für lange.

Die Zeitschriften dort lese ich übrigens nur, weil die AOK-Infoposter die gewöhnlich in Wartezimmern hängen bei meinem Hausarzt noch viel älter sind. Einzelne Exemplare mit Infos zum Thema „Pest“, sind noch auf Pergament gedruckt. Ergänzt werden sie durch handgeschriebene Hetzschriften gegen die Praxisgebühr und einige praktische Hinweise für chronische Analphabeten.

Im Wartezimmer meines Augenarztes gibt es eine Kollektion an abgelegten Zeitschriften aus seinen Privatabonnements, also durchaus eine Chance auf etwas Interessantes. Hinreichend Wartezeit gibt es auch. Leider hat er in einem Anfall von Familienfreundlichkeit eine Kinderspielecke eingerichtet. Entspannte Lektüre von Zeitschriften wie „Edle Yachten“, „Gediegene Oldtimer“ oder „Finca Aktuell“ ist also leider nicht drin, da man permanent tieffliegenden Riesen-Lego-Steinen ausweichen muss oder sich krampfhaft am Sitz festklammert, um nicht der Versuchung nachzugeben die beiden herzigen kleinen Brillenschlangen, die sich auf den praxiseigenen Steckenpferden ein Hindernisrennen liefern, ambulant zu erdrosseln. Kindermord wird meines Wissens, nach der neuesten Kostendämpfungswelle, nicht mehr von der Kasse übernommen.

Mit vernünftiger Lautstärke iPod hören ist auch nicht drin, da hier keine freundlich-dominante Arzthelferin die Patienten aktiv in den Behandlungsraum schleppt, sondern eine nette aber leise Stimme über Lautsprecher die Befehle an die Patienten ausgibt. Wer seinen Auftritt hier verpasst, bekommt die nächste Chance erst wieder im nächsten Quartal.

Mein HNO-Arzt verzichtet völlig auf Lesestoff, eigentlich verzichtet er sogar auf ein Wartezimmer. Bei ihm sitzt man ganz familiär auf dem Flur und genießt die Aussicht auf seine selbstgemachten Beweisfotos von seinen selbstgemachten Nasenkorrekturen – Fotos aus jedem Stadium der von ihm durchgeführten Operationen. Nichts für schwache Nerven. Mancher Patient soll schon vom zu lange auf blutige Nasenknorpel schauen Tinnitus bekommen haben.

Bei meinem Zahnarzt ist alles anders. Hier liegt jeweils der letzte Jahrgang National Geographic aus, es gibt eine aktuelle Tageszeitung und zwei bis drei Magazine für jeden Geschmack, Die Stühle sind bequem und man hat eine hübsche Aussicht in den begrünten Innenhof. Der typisch zahnärzliche Sadismus zeigt sich allerdings darin, dass man schon nach ein paar Minuten, kaum hat man die ersten drei Absätze des hochspannenden Artikels über den Schalenaufbau von tropischen Tiefseekrebsen verschlungen, ins Behandlungszimmer gerufen wird. Dort wartet man dann weitere 30 Minuten einsam auf einem Behandlungsstuhl. Der Bursche versteht sein Handwerk.

 

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