Wieviel gummibärchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Obskure Orte


Mit „obskuren Orten“ meine ich nicht die üblichen verwirrenden Straßenbezeichnungen in unseren Städten, wie beispielsweise die Hermannstraße in Darmstadt, die nach Hermann (!) Felsing benannt wurde (unsere „Felsingstraße“ wurde ja schon nach Heinrich Felsing benannt).

Jede Stadt hat Orte, die es eigentlich gar nicht gibt. Orte, die es zwar mal gab, die aber längst verschwunden sind, trotzdem immer noch in den cerebralen Landkarten der Einheimischen herumspuken und Ortsunkundigen, die nach dem Weg fragen, in den völligen Wahnsinn treiben.

O.k. ein Beispiel: Wenn Ihnen ein Darmstädter den Tipp gibt „hinterm Utsch“ zu parken, will er sie nicht etwa frontal verarschen, sondern nennt ihnen eine real existierende Parkgelegenheit. Dummerweise existiert der Baumarkt „Utsch“ – eigentlich hießen diese Läden als es diesen Laden noch gab, noch „Eisenwarenhandlung“ – schon mindestens 20 Jahre nicht mehr, aber das stört einen Menschen ja nicht, der dort in den 60ern seine ersten Nägel gekauft hat, oder?

Auch die Ortsangabe „Café Angst“ sorgt nicht wirklich für Hilfe. Das beliebte Bessunger Café, das praktisch jeder Darmstädter einmal besucht heißt eigentlich „Cafe Breithaupt“ und hat seinen Spitznamen von der Tatsache, das hier traditionell die Fahrschulen zu den Führerscheinprüfungen abfahren. Morgens kann man daher regelmäßig nervöse junge Menschen treffen, die auf ihren Termin warten. Ob es heute noch so heißt, oder ob sich die Fahrlehrer mittlerweile woanders treffen, weiß ich nicht, ist mir auch egal, für mich bleibt es das „Cafe Angst“.

Genau so wie der Asiate hinter der Stadtkirche für viele das „Cafe Ludwig“ bleibt. Is’ halt so.

Wir haben in Darmstadt ja einen hübschen Naturbadesee in Citynähe, den „Großen Woog“. Jetzt gibt es aber auch den „Kleinen Woog“. Jüngere Menschen denken oft, der kleine Teich in der Parkanlage in Nähe des „Großen Woogs“ sei damit gemeint und schicken natürlich Fremde in die vollendete Irre. Der echte „Keine Woog“ war nämlich ein künstlicher Feuerlöschteich außerhalb der alten Stadtmauer. Dummerweise wurde er im letzten Jahrhundert zugeschüttet und ist daher ziemlich unauffindbar. Der Name des Platzes „Am kleinen Woog“ erinnert noch heute an diesen Teich, dummerweise erinnern sich die Leute kaum noch daran.

Viele original Darmstädter Geschäfte in der Innenstadt, die mittlerweile Pleite sind spuken immer noch in der Orientierung der Menschen herum. Wer sich mit älteren „Heinern“ (der Spitzname der Darmstädter Ureinwohner) vor dem „Nitzsche“ verabredet, tut gut daran, nicht vor den gleichnamigen Haushaltswarenladen zu warten, sondern sich vor den McDonald’s zu stellen. In diesem Gebäude befand sich nämlich dereinst das „Kaufhaus Nitzsche“, das später umgezogen ist.
Wenn man schon mal da steht, kann man auch gleich das Bismarck-Denkmal bewundern, das sich - leicht zu merken - auf dem „Ludwigsplatz“ befindet.

„Am alten Bahnhof“ befinden sich übrigens keine Gleise, sondern die Feuerwehr.

Der „Mercks-Platz“ befindet sich vor dem Finanzamt, die Firma „Merck“ befindet sich ganz woanders, stand aber einst hier. Alte Darmstädter kennen diesen Platz als „alten Messplatz“, manche kennen aber auch den Marienplatz als „alten Messplatz“, da auch hier zeitweise die Herbst- und Frühjahrsmesse abgehalten wurden.
„Vor der Quelle“ bezeichnet in Darmstadt keinen Flussanfang, sondern man trifft sich in der City vor dem Elektrogroßmarkt „Saturn“ (zumindest momentan, wer weiß wie das in zwei Jahren heißt). Hier befand sich nämlich eine Dépendance des berühmten Versandkaufhauses, bevor man die Darmstädter auf Katalogkauf umerzog (die Mikro-Quelle am Luisenplatz lasse ich aus Pietätsgründen hier mal außen vor). Das Parkhaus im gleichen Block heißt bei uns immer noch „Quelle-Parkhaus“. Sch...egal, wie der Betreiber es auch nennen mag.

Der „Goldene Anker“ war früher eine der renommiertesten Darmstädter Kneipen. Dass sich heute ein irischer Pub (im Keller) und eine seltsame Erlebnisgastronomie (Kuckucksnest) im Erdgeschoss das Gebäude teilen ist an alten (über 40j-ährigen) Mit-Heinern spurlos vorüber gegangen. Kaum einer kann auf „Wo geht’s denn hier zum Kuckucksnest?“ korrekt antworten.Erschwerend für die 30- bis 40-jährigen kommt hinzu, dass „unser“ Kuckucksnest eine Studentenkneipe war, in deren Räumen heute das „Hobbit“ wohnt.

Sollten Sie also mal nach Darmstadt kommen, am besten erst gar nicht nach dem Weg fragen, es bringt sowieso nix.

 

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