Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Mit dem Fahhrad nach Faro


Eigentlich wollte ich diesen Tag tief in meinem Gedächtnis vergraben, aber mein Therapeut redete mir lange zu, es aufzuschreiben, da es eine gewisse Katharsis mit sich brächte, die meiner geistigen Stabilität zuträglich sein würde. Und ich hoffentlich den Gedanken an den Kauf einer Kettensäge aufgeben würde.

Während unseres Portugalurlaubes – den ich übrigens immer noch aufarbeite – wollten wir einen Tagesausflug nach Faro machen. Wir residierten in einem Haus kurz vor Portimao – die skurrile Siedlung "Vorort" nennen zu wollen verbietet der Anstand und die Entfernung – und hatten kein Auto, sondern nur zwei Mountainbikes geliehen, daher lag die Idee nahe die 80 Kilometer nach Faro per Zug zu überbrücken.

Laut Reiseführer lag der Bahnhof von Faro weit außerhalb, daher kam uns der spontane Einfall, die Räder im Zug mitzunehmen, um uns aufwändige Märsche zu ersparen. Laut einer netten älteren Schalterdame, die wir am Vortag am Bahnhof befragt hatten, würde der Transport der Räder im Zug kein Problem darstellen, wir sollten nur rechtzeitig am Gleis sein. Für die 90 Minuten lange Fahrt kämen je 3,60 Euro plus 2 Euro für den Radtransport auf uns zu - daran sollte sich die Deutsche Bahn mal ein Beispiel nehmen.

Am nächsten Morgen klärte der Bahnhofsvorsteher sogar persönlich mit dem Schaffner ab, ob und wo im Zug Platz für unserer Räder sei und wie wir sie unterbringen sollten: am hintersten Ende des letzten Waggons. Perfekt. Wir mussten lediglich an zwei Bahnhöfen die Räder ein wenig zur Seite schieben, um schwerere Verletzungen bei einsteigenden Passagieren zu vermeiden, ansonsten verlief die Fahrt problemlos.

In Portugal ist es übrigens völlig unüblich am Gleis oder sonstwo im Bahnhof Informationen zu hinterlegen, wo der erwartete Zug abfährt. Spätestens ab zwei Bahsteigen bekommt der uninformierte Fahrgast Probleme, vor allem, da die wenigsten Schaffner Englisch sprechen und die meisten portugiesischen Ortsnamen nicht so ausgesprochen wie geschrieben werden.

Um es kurz zu machen, der Bahnhof in Faro lag praktisch direkt vor der alten Innenstadt, wir schlossen die Räder also direkt dort an und erledigten die Stadttour zu Fuß. Nette Stadt, nicht mehr, nicht weniger.

Am Ende des Tages wollten wir zurück. Wir hatten den rudimentären Fahrplan studiert und waren pünktlich am Bahnhof, hievten unsere Räder in den Zug, der zwar ohne Beschriftung an einem unbeschilderten Bahnsteig wartete, uns aber spontan sympathisch erschien. Einem hilfsbereiten Schaffner konnten wir die Information entlocken, dass es sich hier aber nicht um unserern Zug, sondern um den Pendlerexpress nach Sizilien (oder so ähnlich) handelte worauf mehrere Portugiesen panisch die Ausgänge stürmten. Unser Zug stand direkt davor auf dem selben Gleis.

Wir packten die Räder erneut an den bekannten Platz im letzten Waggon und erwarteten die Abfahrt. Dummerweise wurde ein Bahnangestellter unserer gewahr und begann, uns auf Portugiesisch klar zu machen, dass ihm ein solch dreister Versuch, die lokalen Beförderungsbestimmungen zu unterlaufen noch nie untergekommen sei. Er nötigte uns auszusteigen, da ansonsten der Zug von einer Spezialeinheit des Bahnschutzes gestürmt würde, was normalerweise nicht ohne Opfer unter der Zivilbevölkerung abliefe.

Ein emotional etwas gefestigterer Kollege, der auch passabel Englisch sprach, klärte uns auf, dass die Mitnahme von Fahrrädern schon seit Vasco da Gama verboten sei und nur von einem wohlwollenden Zugbegleiter ohne große Karriereabsichten geduldet werden würde. Kaum beeindruckt zeiget er sich von unseren Fahrradtransporttickets, die wir in Portimao gelöst hatten. Eventuell ginge es vielleicht in dieser Fahrtrichtung, zurück aber auf gar keinen Fall. Auf unser heftige Insistieren, begleitet von Tränenausbrüchen meinerseits und mehreren spontanen Kniefällen, erklärte er uns, die einzige Chance sei, die Räder zu demontieren und in Säcken verpackt als Handgepäck zu transportieren. Dagegen würde wohl niemand etwas haben. Zum Schluss machte er uns noch darauf aufmerksam, dass dieses Gepräch nie stattgefunden habe und er unsere Bekanntschaft leugnen würde.

Da der nächste Zug schon in 25 Minuten kommen würde, machte sich Panik breit. Wir versuchten in einem nahegelegenen Tante-Emma-Laden Müllsäcke oder etwas Vergleichbares aufzutreiben, das uns erlauben würde, die Fahrräder zu tarnen. Mein geliebtes Weib sicherte sich meine lebenslange hingebungsvolle Liebe, als es ihr gelang dem verständnislosen Krämer den letzten Pack 100-Liter-Müllsäcke abzuschwatzen. Wir hatten nun nur noch 12 Minuten Zeit und begannen die Räder fachgerecht zu filetieren und zu verpacken. Fatalerweise setzte nach 7 Minuten ein unglaublicher Platzregen ein, der unserer Absicht brutal vereitelte und pünktlich mit der Abfahrt des Zuges nachließ. Wir waren nass bis auf die Knochen, voller Kettenfett und standen mit in Leichensäcken verpackten Rädern auf einem leeren Bahnhof. Für die Verpackung muss ich mich hier noch einmal bei meiner Frau bedanken. Mir fehlen dazu wohl die richtigen Enzyme.

Der Bahnhof von Faro ist im Übrigen spektakulär langweilig. Vor allem, wenn man nass ist, die Außentemperatur im einstelligen Bereich liegt und alle Türen sperrangelweit offenstehen – bis auf die Toilettentüren, die waren verriegelt.

Der nächstmögliche Zug brachte uns dann relativ problemlos ins auf halber Strecke liegende Tunes, wo wir auf den Anschlusszug warten wollten. Den hätten wir zwar auch in Faro erwarten können, aber wir wollten das Risiko minimieren, mit dem letzten Zug des Tages auch nicht mitzukommen. Von Tunes aus schien uns eine Weiterfahrt per Rad zumindest entfernt machbar.

Der Bahnhof von Tunes war noch öder als der vorige. Öder eigentlich als alle Bahnhöfe, die ich kenne und ich kenne viele Bahnhöfe. Der bislang ödeste Bahnhof meines Lebens, der von Öxnered in Schweden liegt seit diesem Tag nur noch auf Platz drei. Zum Glück hatte die Caféteria gegenüber geöffnet und wir konnten uns notdürftig gegen die grimme Kälte schützen – auch wenn die Blicke der Einheimischen ein grundlegenes Unverständnis erkennen ließen. Man verbot sogar den Kindern zu nahe an die beiden feuchten Bekloppten mit den schwarzen Müllsäcken heranzugehen. Je näher die Abfahrtszeit rückte, desto nervöser wurden wir. Würden wir den Rest der Fahrt in der relativen Annehmlichkeit eines beheizten Zuges verbringen, oder in regnerischer Nacht fluchend unsererRäder wieder zusammenpfriemeln und Dinge tun, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft lagen. Wir danken an dieser Stelle der portugiesischen Bahn für ihre Toleranz.

Einen letzten Tiefpunkt erreichte der Tag, als uns ein Verantwortlicher, dem neben dem Zeitschriftenverkauf auch die Schlüsselgewalt des Bahnhofs oblag, aus der Halle des Bahnhofs von Portimao verwies, weil er nach dem letzten Zug abschließen wollte. Er bemerkte aber unsere Mülltüten und gestattete uns huldvoll, die Räder zumindest in der trüben Beleuchtung des feuchten Bahnsteiges zu montieren. Er ahnt bis heute nicht, wie knapp er dem Schicksal in einem alten Ölfass im Atlantik zu treiben entgangen ist, als wir bemerkten, dass er mitnichten nach Hause gegangen war, sondern mit einigen Kumpels in seinem Zeitschriftenladen Fußball guckte und Kaffee trank.
Chicagos Fundamente sind voll solcher Menschen.

 

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