Wieviel gummibärchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Pulver, Bohnen, kalte Krieger


Wikipedia:
“’Guerilla’ ist die Verkleinerungsform von ‘guerra’ und bedeutet ‘Kleiner Krieg’. Der Ausdruck ‘Kleiner Krieg’ war im deutschen Sprachgebrauch bis ins 19. Jahrhundert hinein üblich...”

Ich dachte ja sowas gibt's nur in hinterwälderischen Bananenstaaten, wo parlamentarisches Arbeiten gerne mal im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes ausgeführt wird. Der "Arbeitskreis Umweltschutz" unterstreicht seinen Standpunkt durch das Niederbrennen von monopolkapitalistisch geführten Feldern und requiriert nebenbei ein paar Hühner für das Fraktionsbarbecue... oder so ähnlich.

Jetzt musste ich aber einsehen, dass es das eigentlich überall gibt. Der alltägliche Untergrundkrieg tobt unbemerkt in unseren Großstädten. In den Büros werden hinterhältige Anschläge ausgeführt, die an Verschlagenheit ihresgleichen suchen. Und was sieht man davon in der "Tagesschau"? Nichts! Gelegentlich taucht mal ein verstörter Zeitgenosse in einer Talkshow auf und wird von den Zuschauern ausgelacht.

Ich rede von den “Kaffee-Guerilleros”. Jeder hatte schon mal mit ihnen zu tun, oft ohne es zu wissen, oder sich der Bedrohung bewusst zu sein. Aber sie sind überall.

Meinen ersten Kontakt hatte ich während meiner Ausbildung. Damals stieß ich immer wieder am Kaffeeautomat auf leere Becherbehälter. Ich war mir sicher, dass die Vorratsbehälter von der fürsorglichen Putzfrau abends aufgefüllt würden. Trotzdem waren regelmäßig schon am frühen Morgen die Becher weg. Dann fiel mir die seltsame Röhre in der Tasche einer Kollegin auf. Sollte sie etwa ... aber warum? Niemand braucht Hunderte dieser braunen Plastikbechern mit der plissierten Becherwand, oder?

Die Kollegin hatte seltsamerweise immer einen Kaffee in einem offiziellen Plastikbecher vor sich stehen.

Bei anderen Mitarbeitern beobachtete ich verschiedene Arten, mit dem "fehlende-Becher-Phänomen" umzugehen. Einige brachten sich eigene Tassen mit und versuchten sie sabberfrei unter den Ausguss des Automaten zu zwängen. Andere spülten die einmal ergatterten Plastikbecher aus und verwahrten sie sicher in ihrem Schreibtisch. Verzweifelte Bürogemeinschaften investierten in eine büroeigene Kaffeemaschine. Dachte sich denn niemand etwas dabei? Sah denn niemand die Zeichen?

Später bei der Bundeswehr gab es dann keinen Kaffeeautomaten, aber aus unserer Stube verschwand immer wieder Kaffeepulver, teilweise in nicht unerheblichen Mengen. Die Vorräte an "BW-Kaffeeweißer, milchfrei" blieben stets unangetastet.

Im Studium verschwanden Unmengen Kaffeetassen aus der Mensa. Die Verluste waren so enorm, dass die Mensabesatzung zu beinahe militanten Gegenaßnahmen griff um der Situation Herr zu werden: "Wenn die Tassen nicht wieder auftauchen gibt's bis Freitag keine Pommes!" Einmal gab es sogar vier Tage lang keinen frischen Kaffee, was manche Studenten gar nicht zu stören schien. Seltsam.

Der Automatenkaffee als Alternative fiel bald wegen fehlender Becher aus. Die Lage wurde kritisch. Die Masse der Studenten befand sich nach drei Tagen allerdings sich in einem Zustand der völligen Verzweiflung. Ich beobachtete aber immmer wieder Studenten die mit wohlgefüllten Mensakaffeetassen durch die Gänge strichen.

Wikipedia:
“Zur Guerillataktik gehören "nadelstichartige" militärische Operationen, die den Gegner nicht vernichten, sondern zermürben sollen.”

Ich machte mein Diplom so schnell es ging, um in den vermeintlich sicheren Hafen des akademischen Erwerbslebens einzulaufen. In der Firma, die ich bald darauf mit einigen Partnern gründete, geschahen wieder seltsame Dinge. Gerade die älteren Kompagnons (oder sollte ich "Companeros" sagen) hatten ein fortgeschrittenes Niveau in der Kaffeekriegsführung erreicht.
Lief frischer Kaffee durch die Maschine, kam zufällig ein Kollege in die Küche, hatte zufällig seine Oversized-Kaffeetasse dabei und schenkte sich die voll, ohne abzuwarten, dass der Kaffee voll durchgelaufen war. Was übrig blieb war klar: ein praktisch koffeinfreies Heißgetränk ohne jeden Geschmack - der befand sich schon in der Kinderbadewanne die der Kollege als Tasse benutzte. Die Dreistigkeit lag dann darin, sich zu beschweren, dass der Kaffee immer so stark sei, den könne man ja niemandem anbieten.

Im Büro bestand die Verabredung, dass der, der den letzten Kaffee aus der Kanne entnimmt, auch frischen aufsetzt. Fortgeschrittene Guerilleros (dieser Terminus schließt Damen mit ein) entnahmen dann gerne gerade soviel Kaffee, dass ein Bodensatz übrig blieb, der die Ausrede rechtfertigte, die Kanne sei ja noch nicht leer gewesen.

Wikipedia:
“Der Erfolg der Guerilleros ist davon abhängig, ob es ihnen gelingt die Entscheidung darüber zu behalten, an welchem Ort und zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen die militärische Konfrontation mit dem Gegner stattfindet.”

Der groben Missachtung der Nachkoch-Vereinbarung wurde natürlich auch mit scheinbar logischen Argumenten wie: "Ich konnte doch meinen Kunden nicht warten lassen." der Anschein der Legitimität verliehen. Aber ich hatte sie alle durchschaut.

War der Kaffee in trinkbarem Zustand und trinkbarer Menge vorhanden, war mit Sicherheit die letzte Milch verbraucht oder versteckt. Einmal war sogar mein Geheimvorrat an Instantkaffee - eine Verzweiflungsschritt, ich weiß - von Frevlerhand geplündert.

Die Situation führte natürlich dazu, dass irgendwann niemand mehr einkaufen ging - außer vielleicht für den eigenen Bedarf und dann die Einkäufe in seinem Schreibtisch versteckte. Damit wurden erstmalig auch die Untergrundtrinker empfindlich getroffen: Da das System keine Kaffeefilter mehr vorrätig hielt, war ein ungenannt bleibender Kaffeeabhängiger dazu genötigt bei einer Samstagsschicht seinen Kaffee durch eine rosa Papierserviette zu filtern. Da Montags noch die praktisch volle Kanne in der Küche stand - von abspülen keine Spur - schien die Maßnahme defizitär gewesen zu sein. Den Weg zum nahe gelegenen Tante-Emma-Laden, hatte der erfahrene Krieger natürlich gescheut, das hätte ja bedeutet, sich der Mittel des Feindes zu bedienen. Ach ja, Papierservietten weisen nicht die gleiche Reißfestigkeit auf wie handelsübliche Kaffeefilter.

Wikipedia:
“Ein entscheidendes Kennzeichen der Guerilla ist ihre hohe Mobilität und Flexibilität. Guerilla-Einheiten sind in ständiger Bewegung, um dem militärisch überlegenen Gegner auszuweichen.”

In einem Akt der Erkenntnis beschloss ich selbst subversiv zu werden: ich stieg auf Tee um. Jetzt konnte niemand mehr von mir verlangen, mich an Kaffee-koch-kauf-spül-Maßnahmen zu beteiligen. Ich konnte sogar den mutmaßlichen Guerilleros auf freundliche "Bringst du mir einen mit?"-Fragen einen mitbringen. Für solche Fälle hatte ich extra einen Vorrat an Aromatee bereitgelegt.
"Hier dein Vogelbeer-Lakritz-Tee. Ich trink ja keinen Kaffee mehr.”

War ich letzendlich selbst zum Guerillero mutiert?

Wikipedia:
“Voraussetzung für einen Guerillakrieg ist die fehlende Hoffnung der Bevölkerung, ihre politischen und sozialen Forderungen mit politischen und rechtlichen Mitteln erreichen zu können.”

Wahrscheinlich schon, aber ich fühle mich gut dabei!

Venceremos!

 

 

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