ALgerienkonflikt

In Algerien kamen ja gerade einige der Geiseln frei, jetzt fragt sich bestimmt so mancher, warum die Jungs in Algerien da eigentlich so schräg drauf sind. Da wollte ich doch mal ein wenig Licht ins Dunkel bringen:

Der Algerienkonflikt

Das heutige Algerien (ohne die Saharagebiete im Süden) setzte sich im Altertum aus beiden römischen Provinzen Mauretania und Numidia zusammen. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches herrschten dort die Vandalen — nicht im übertragenen Sinne, nein, der germanische Stamm, der in Folge der Völkerwanderung bis nach Nordafrika kam. Im 7. Jahrhundert eroberten es die Araber und ab 1519 stand das Land unter osmanischer Oberherrschaft.

1830 begannen die Franzosen mit der Eroberung des Landes, was ihnen bis 1847 mehr oder weniger auch gelang.

Als Zeichen des dauerhaften Besitzanspruches erklärte die französische Verfassung von 1848 Algerien zum "französischen Territorium", das Land war also Teil des französischen Mutterlandes geworden.

Der Name Algerien leitet sich übrigens von der Hauptstadt Algier ab. Und Algier (arabisch: Al Jaza'ir) bedeutet einfach "die Inseln" und bezieht sich auf zwei kleine Inseln vor Algiers Altstadt.

Allerdings ist die algerische Bevölkerung aus Arabern und Berbern mit dem Anschluss an Frankreich nie so richtig einverstanden. Es kommt zu sechs Aufständen zwischen 1848 und 1912, die die Franzosen niederschlagen.

Im März 1926 gründet El-Hadj Ahmed Messali die Unabhängigkeitsbewegung "Nordafrikanischer Stern".

Weitere Bewegungen gründen sich:

1927 der Verein der Islamischen Studenten Nordafrikas (AEMNAF), 1931 die "Bewegung der Oulemas" durch Cheikh Abdelhamid Ben Badis, 1937 die "Partei des Algerischen Volkes" durch EldHadj Ahmed Messali in Algier.

Scheich Ben Badis proklamiert 1930: "Algerien ist unsere Heimat, Arabisch unsere Sprache, der Islam unsere Religion".

Dadurch fühlt sich ein Drittel der algerischen Bevölkerung, die Berber in der Kabylei (die Region im Osten der Hauptstadt Algier) ausgeschlossen. Sie sind die verbliebene europide Bevölkerung Nordafrikas, die bis zu der arabisch-islamischen Invasion im 7.Jahrhundert im Gebiet zwischen den Kanarischen Inseln und der Oase Siwa lebten. Zu den Berbern gehören auch die Tuareg, die Chaouia im Aurès-Gebirge und die Mozabiten in Ghardaïa. Allerdings haben sich Araber und Berber in den letzten 1200 Jahren auch vermischt. Und die Berber haben zum Teil ihre Sprache aufgegeben. Die Berber unterscheiden sich von den Arabern aber noch durch ihre Kultur und Gesellschaftsstruktur mit kleinen, autonomen Dorfgemeinschaften.

Die Araber gehören mehrheitlich dem sunnitischen Islam an (Staatsreligion). Unter den Berbern sind noch andere religiöse Elemente des Islam wie Marabutismus (Heiligenverehrung) verbreitet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt alles beim alten, die Franzosen bleiben die Herren Algeriens.

Schließlich wird 1954 die algerische Befreiungsfront (FLN) gegründet und beginnt mit Aufständen gegen die französischen Kolonialherren.

Die Regierung in Paris, mit einem Innenminister François Mitterrand (der von 1981-1995 dann französischer Präsident war), verstärkt die Einheiten der in Algerien stationierten Bereitschaftspolizei, und Führer der Unabhängigkeitsbewegung werden verhaftet.

Im Februar 1955 stürzt in Paris die sozialistische Regierung Mendès-France über die Algerienkrise und wird durch eine Mitte-links-Regierung unter Edgar Faure ersetzt.

Kurz darauf beschließt die französische Nationalversammlung den Ausnahmezustand für Algerien und das Militär richtet Internierungslager ein.

Es kommt zu weiteren Unruhen in Algerien, die algerische Befreiungsarmee greift Polizeiposten und öffentliche Gebäude an.

Die französische Armee und Milizen der europäischen Algerier, schlagen zurück, es kommt zu tausenden von Toten.

1956 beginnt die französische Regierung unter dem Sozialisten Guy Mollet, den im Wahlkampf versprochenen "Frieden in Algerien" mit Krieg zu durchzusetzen.

Frankreich entsendet Soldaten nach Nordafrika, pardon, in sein südliches Departement.

Die Algerier, bzw. die FLN, antworten mit Bombenanschlägen und Streiks.

Ende 1956 sind 350 000 französische Soldaten, großenteils Wehrpflichtige in Algerien aber die FLN, leistet ungebrochen Widerstand. Es werden weiter Attentate in der Hauptstadt Algier verübt.

Anfang 1957 lässt der Oberkommandierende der französischen Streitkräfte General Raoul Salan, Algier 1957 von 8000 Fallschirmjägern, unter dem Kommando von General Jacques Massu besetzen.

Die Lage eskaliert weiter, in von Europäern besuchten Cafés explodieren Bomben. Die Fallschirmjäger fallen daraufhin in die Kasbah ein, durchkämmen die Häuser, verhaften zahllose Menschen. Bei den "Befragungen" der Verdächtigen wird geprügelt, gefoltert und liqudiert.

1958 kehrte der General Charles de Gaulle aus seinem "Ruhestand" zurück und wurde, von Präsident René Coty berufen, Premierminister. De Gaulle erkannte, dass die Algerienfrage nur politisch zu lösen war.

Da die 4. Republik aufgrund ihrer konstitutionellen Schwäche den Algerienkonflikt nicht lösen kann arbeitet de Gaulle eine Präsidialverfassung für Frankreich aus.

Am 28. September 1958 stimmt die große Mehrheit der Franzosen (auch in Algerien) für die neue Verfassung. Die 5. Republik löst die 4. Republik ab.

Am 21. Dezember 1958 wird de Gaulle in direkter Wahl zum französischen Präsidenten gewählt.

1959 versucht de Gaulle die algerische FLN durch hartes Vorgehen zu Verhandlungen zu zwingen, macht aber auch deutlich, dass er an Algerien nicht festhalten wird, da der Besitz Algeriens Frankreich mehr kostet, als er einbringt.

1960 beginnen dann Geheimverhandlungen zwischen Frankreich und der FLN.

Im Januar 1961 schießen Algerienfranzosen, die gegen eine Unabhängigkeit sind in Algier auf die eigene Gendarmerie.

In der Nacht vom 21. auf den 22. April 1961 kommt es zum Putsch in Algier.

Die Generäle Salan und Challe bringen ein Regiment der Fremdenlegion hinter sich besetzen den Flughafen Algiers, Regierungsgebäude und die Waffendepots. Sie wollen Algerien um jeden Preis halten.

Aber die Putschisten vergaßen den Rundfunksender zu besetzen. So konnte Präsident de Gaulle, die Putschisten als "durchgedrehte Pensionäre" bezeichnen und zur Befehlsverweigerung aufrufen. Der große Teil der Soldaten folgte De Gaulle und der Putsch endete nach einer Woche.

Die Anhänger des "französischen Algeriens" in der Armee gründeten daraufhin die Geheimorganisation OAS (Organisation Armée Secrète).

Die OAS beginnt nun ihren Terror in Algerien aber auch in Frankreich: FLN-Kämpfer werden aus den Gefängnissen geholt und exekutiert, mehrfach wird die Wohnung von Jean-Paul Sartre zerbombt.

Die Verhandlungen zwischen französischen Regierungsvertretern und Abgesandten des FLN enden Anfang 1962 im "Abkommen von Evian".

Am 19. März 1962 um 12 Uhr mittags wird Algerien in die Unabhängigkeit entlassen. Die französische Armee wird nach und nach abziehen.

Die OAS gibt noch nicht auf. Es kommt zu Straßenkämpfen mit Patrouillen der französischen Armee, auf dem Markt von Oran tötet eine OAS-Bombe Dutzende Menschen; die Bibliotheken von Oran und Algier gehen in Flammen auf. Die OAS versucht durch Zerstörungen und Attentate die Infrastruktur zu zerstören und ein politisches Chaos zu hinterlassen.

Die weißen Algerier fürchten durch den OAS-Terror die Rache der neuen Machthaber, viele flüchten mit Schiffen aus dem Land.

Zudem dürfen in Marokko befindliche FLN-Einheiten in Algerien einrücken. Das lässt auch die OAS-Terroristen, die Flucht antreten.

Zehntausende muslimischen Algerier, die als Polizisten, Soldaten oder Beamte der Kolonialmacht gedient hatten - die Harkis - kommen bei "Vergeltungs"massakern zu Tode

Nach der Schätzung des Historikers Benjamin Stora hat der algerische Befreiungskrieg eine halbe Million Tote gekostet.

Erster Staatschef des freien Algeriens wurde der FLN-Führer Ben Bella.

Die FLN wird Einheitspartei.

Mit Hilfe von Huarie Boumedienne (übrigens ein Berber) sichert sich Ben Bella die Macht gegenüber seinen Mitstreitern Hocine Ahmed und Mohammed Boudiaf.

Ben Bella beginnt eine sozialistische Politik mit Verstaatlichungen und sichert sich die Unterstützung der Religionsgelehrten. Es kommt zu einem islamischen Staatbürgerrecht und zu Koranschulen.

1965 putscht Oberst Boumedienne gegen seinen Staatchef. Er setzt den "Islamischen Sozialismus" mit dem Verstaatlichungsprogramm fort und beginnt die Industrialisierung.

Nachdem Boumedienne 1978 stirbt, wird Chadli Bendjedid sein Nachfolger.

Staatspräsidenten Bendjedid Chadli verfolgt einen politisch und wirtschaftlich pragmatischen Kurs. Bei den Wahlen 1988 ist er zwar der einzige Kandidat, aber das Wahlergebnis scheint nicht geschönt zu werden. Er wird nämlich "nur" mit 81,2% der Stimmen wiedergewählt.

Aber infolge der Wirtschaftskrise sinkt der Lebensstandard in den 80er Jahren. Durch sinkende Ölpreise, Korruption, Wohnungsnot, Jugendarbeitslosigkeit, Inflation und Lohnstop können die Islamisten Stimmung für sich machen. Ihr Programm ist der Islam, der alle Probleme lösen wird. Auch die Berber beginnen sich gegen die Regierung aufzulehnen.

Chadli Bendjedid beginnt deswegen 1988 einen Reformprozess bei dem auch ein Mehrparteiensystem eingeführt wird.

1989 wird die "Islamische Heilsfront" FIS gegründet. Die Islamisten unter Ali Benhadj und Abassi Madani wollen dadurch auch politischen Einfluss erlangen.

Der Plan scheint aufzugehen, die FIS gewinnt 1990 die Kommunalwahlen.

Im Dezember 1991 gewinnt die FIS den ersten Wahlgang der Parlamentswahlen. Der zweite Wahlgang findet daraufhin nicht mehr statt. Die FLN-Regierung setzt die Wahlen aus und annulliert sie schließlich.

1992 setzt das Militär Präsident Bendjedid ab, und übernimmt mit dem von ihm beherrschen "Obersten Staatsrat" die Macht, verhängte den Ausnahmezustand und verbietet die FIS. Zahlreiche Parteimitglieder werden verhaftet

Vorsitzender des Obersten Staatsrats wird Mohammed Boudiaf, einer der Mitstreiter von Ben Bella aus dem Unabhängigkeitskrieg.

Die Islamisten, um den Wahlsieg betrogen, antworten mit Terrorakten aus dem Untergrund. Der Bürgerkrieg beginnt und setzt eine Gewaltspirale in Gang.

Die verbotene FIS bekommt militante Ableger die "Armée Islamique du Salut" (AIS) und die "Groupe Islamique Armé" (GIA), insgesamt 23000 Mann. Sie ermorden Journalisten, Polizisten, Beamte, entführten Diplomaten und erpressen von Händlern "Revolutionssteuern". Die Staatsmacht reagiert mit Verschleppung tatsächlicher oder vermeintlicher Islamisten, es wird gefoltert und hingerichted.

Der Süden Algerien, die Sahara, scheint vom Bürgerkrieg weitgehend ausgenommen und von der Armee voll kontrolliert. So kommt es nur 1994 zu einem Anschlag auf eine Pumpstation in der Nähe von Batna. Die Ölförderanlagen scheinen also sicher. Außerdem schützen die Ölfirmen die Anlagen durch Sicherheitspersonal und Söldner.

So ist auch die jetzt 2003 wegen verschwundener Motorradtouristen in die Schlagzeilen gekommene "Gräberpiste" im Südosten Algeriens in der Sahara und damit vom Bürgerkrieg verschont.

Mohammed Boudiaf, der mit seiner Autorität das Land vielleicht hätte einen können, wird aber im Juni 1992 ermordet, sein Nachfolger wird Ali Kafi der dann 1994 von Liamine Zéroual abgelöst wird.

Das Parlament wird 1994 (bis 1997) durch den Obersten Staatsrat ersetzt.

Bei den Präsidentenwahlen 1995 bestätigte die Bevölkerung Zéroual im Amt.

1996 bekommt Algerien eine neue Verfassung. In der wird das Berbertum der arabischen Kultur und dem Islam gleichgestellt. Allerdings bekommt die Berber-Sprache nicht die Anerkennung als offizielle Amtssprache neben dem Arabischen.

1997 finden Parlamentswahlen statt, die aber die innenpolitischen Lage nicht stabilisieren. Sieger war die "Nationaldemokratische Sammlungsbewegung" (RND), mit 156 von 380 Sitze.

1997 nehmen die Massaker an der Zivilbevölkerung dramatisch zu. Innerhalb weniger Monate werden Tausende ermordet, wobei die Rolle der Armee und der Guerilla oft unklar bleiben. Im "Dreieck des Todes" zwischen Baraki, Bouira und Tizi (südwestlich von Algier) überfallen Terrorkommandos jede Nacht Dörfer, entführen oder töten die männlichen Bewohner.

Im April 1999 tritt Präsident Zérouals zurück und Nachfolger wird, nach vorgezogenen Neuwahlen, Abdelaziz Bouteflika. Er war damals am Sturz Ben Bellas beteiligt, und von 1963-79 algerischer Aussenminister.

Anfang 1998 war die offizielle Zahl der Toten 26536, nach gut informierten Beobachter sind es bis dahin 200.000 Tote.

Im April 1999 sagt Präsident Bouteflika das es insgesamt 100.000 Tote durch den Bürgerkrieg gegeben hat.

Bouteflika plant die Modernisierung der algerischen Gesellschaft und einen Friedensplan zur Beendigung des Bürgerkrieges. Vorgesehen ist die Legalisierung islamistischer Gruppen, die dem bewaffneten Kampf abschwören und eine Amnestie für alle inhaftierten Fundamentalisten, die nicht wegen Kapitalverbrechen (Mord, Vergewaltigung und Terroranschläge) verurteilt wurden.

Der Plan wird im Juli 1999 vom Parlament und im September 1999 durch ein Referendum gebilligt.

Im Jahr 2000 nehmen 1100 Mitglieder der AIS das Amnestieangebot an. Die Rebellen stellten nach die Kämpfe ein.

Aber im Dezember erreicht der Terror wieder das Land.

2001 kommt es zu Unruhen zwischen Berbern und Sicherheitskräften. Die Kabylen bzw. die Berber sehen sich durch die arabische Mehrheit diskriminiert

Seit April sind große Teile der Bevölkerung in der Kabylei für einen Bruch mit dem politischen System.

Am 8. April 2002 wird die Berbersprache Tamazight als Nationalsprache anerkannt.

Aber die soziale Situation ist weiterhin für die Menschen schwierig: Arbeitslosigkeit bei knapp 30%, 80% der Arbeitslosen sind jünger als 30 Jahre. Mehr als 20% der Bevölkerung leben unter der nationalen Armutsgrenze. Weitere Probleme sind Wohnungsnot, Wassermangel und Korruption.

Im August 2001 kommt es wieder zu Anschlägen in Algier.

Am 30. Mai 2002 sind Parlamentswahlen. Die wichtigsten Oppositionsparteien rufen zum Boykott auf. Die Wahlbeteiligung liegt bei offiziell 46% in der Kabylei mit überwiegend Berbern ist sie nur 2%. Die FLN gewinnt 199 der 389 Sitze, der RND 48 Sitze; 3 islamistische Gruppen haben zusammen 82 Abgeordnete.

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